Extremismus ohne Extremisten: Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung

Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung möchte mit ihrer Studie „Linksextremismus in Deutschland: Erscheinungsbild und Wirkung auf Jugendliche“ einen Beitrag zur Erforschung linksextremistischer Einstellungen bei Jugendlichen leisten. Dabei kommt ihr allerdings ihr Forschungsobjekt abhanden.

Nach eigenen Aussagen fühlt sich die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) dem antitotalitären Grundkonsens der Bundesrepublik verpflichtet. Dazu gehören laut KAS Aufklärung und Prävention insbesondere im Bereich des politischen Extremismus. Dabei folgt sie in ihrer empirischen Analyse dem theoretischen Ansatz, „dass dem Extremismus gemeinsame Dimensionen zu Grunde liegen, die jeweils eine spezifische ideologische Ausprägung annehmen können.“[1] Mit dieser Studie betritt die Konrad-Adenauer-Stiftung nach eigenem Bekunden Neuland, da sich die bisherigen Studien quantitativer Methoden bedienten. Die vorliegende Untersuchung basiert auf qualitativen Methoden und ist so konzipiert, dass auf diese eine repräsentative Umfrage aufbauen soll, mit welcher extremistische Einstellungen in der Bevölkerung untersucht werden können.

Gleich zu Beginn erklärt die Autorin, dass dieser Studie nicht das normative Verständnis von Extremismus zugrunde gelegt wird, denn, so führt sie weiter aus, „normative Definitionen lassen sich nur schwer in ein sozialwissenschaftliches Forschungsdesign umsetzen.“[2] Vielmehr greift sie auf eine von U. Backes entwickelte definitio ex positivo zurück. In dieser versucht Backes die Strukturelemente aufzuschlüsseln die allen politischen Extremismen gemein sein sollen. Dazu zählt Backes offensive und defensive Absolutheitsansprüche, Dogmatismus, Utopismus und kategorischer Utopieverzicht, Freund-Feind-Stereotype, Verschwörungstheorien sowie Fanatismus und Aktivismus.[3]

Fragestellung der KAS-Studie ist nun, welche Präventionsmöglichkeiten sich für das dem Linksextremismus, nach Backes Definition, affinem jugendlichen Milieu ergeben. Die Zielgruppe für diese Studie sieht Neu im erweiterten Sympathisant_innenumfeld für linksextremes Gedankengut oder linksextreme Organisationen. Dazu wurden zuerst Screenings durchgeführt um Probanden für die Studie zu gewinnen. Dabei orientierte sie sich an der „Zwiebeltheorie“. Nach dieser Theorie würde sich eine sogenannte extremistische Szenen in konzentrischen Kreisen aufbauen und deren Extremismusgehalt wie Aktionsbereitschaft von innen zu den äußeren Kreisen hin abnehmen.[4] Dabei bezieht sie sich auf ein Modell, welches von Dieter Rucht für die Kategorisierung rechtsextremer Bewegungen entwickelt wurde. Neu ist offensichtlich der Meinung, dass sich dieses Modell auch auf andere Bewegungen übertragen lässt; einen genauere Begründung liefert sie nicht.  Für die Studie waren nur Menschen interessant, die sich in den äußeren konzentrischen Kreisen aufhielten, also Sympathisant_innen und Unterstützer_innen. Neu beschreibt die Suche nach Proband_innen als schwierig, was sie darauf zurückführt, dass in linken Milieus eine größere Distanz, Misstrauen und Zurückhaltung gegenüber allem, was den Bereichen Staat und Wirtschaft zuzuordnen ist, besteht. Um herauszufinden ob die Kandidat_innen zur gewünschten Zielgruppe gehören, mussten sie einen Screening-Fragebogen mit vier Items beantworten, die den Themenbereichen Anti-Kapitalismus, staatliche Repression und Anti-Rechtsextremismus zugeordnet sind und sie mussten allgemein politisch interessiert sein.[5]

Die vier Items sind dabei sehr allgemein gehalten. Festzustellen ist dabei, dass sie zum einen nur einen kleinen Teil vermeintlich linker Einstellungen abdecken und zum anderen auch so formuliert sind, dass sicherlich auch Menschen ihre Zustimmung geben könnten, denen andere als linke Einstellungen zu unterstellen sind. [6]

Die nach diesen Items ausgewählten Personen beantworteten nachfolgend in einem Interview einen umfangreichen Fragenkatalog, dessen Fragen in der veröffentlichten Studie aber leider nicht mit aufgeführt wurden. Aus wissenschaftlicher Perspektive ein Manko. Die Beantwortungen der Fragen, hinterlassen häufig Verwunderung bei Neu. So schreibt sie “Von klassischen antinationalen Reflexen – wie sie häufig in linken Diskuren anzutreffen sind – ist nichts zu spüren“,[7] vielmehr werden träumerische Ideale einer Gesellschaft vertreten. Über konkrete Möglichkeiten und Grenzen einer Umsetzung des Ideal werden sich keine Gedanken gemacht. Auch andere Ergebnisse passen nicht in das Extremismus-Bild der KAS: Die Demokratie wird überwiegend positiv gesehen und der Wunsch nach einer stärkeren Beteiligung der Bevölkerung an der demokratischen Entscheidungsfindung ist Konsens.[8] Misstrauen wird generell den Parteien entgegengebracht und ein Freiheitsgedanke ist in unterschiedlichen Formen implizit enthalten.

Viel interessanter wird für die Konrad-Adenauer-Stiftung sein, dass der Begriff der „sozialen Marktwirtschaft“ durchgängig durch den Begriff „Kapitalismus“ ersetzt wurde. Der Kapitalismus wird von einigen Probanden mit positiven Eigenschaften assoziiert, andere sind der Ansicht, dass es keine Alternative zum Kapitalismus gebe. Erstaunt stellt Neu fest, dass bei den Teilnehmer_innen der Studie das Verständnis gegenüber Menschen die nicht einer Erwerbsarbeit nachgehen gering ist. „So gibt es weit verbreitete Ressentiments, die man eher in rechtsextremen Kreisen erwartet hätte.“[9] „Überraschenderweise finden sich hier Argumentationsmuster, die man ideologisch eher in einem dem Rechtsextremismus oder –populismus nahestehenden Milieu erwarten würde.“[10] Vielleicht hätte Neu bei der Erstellung des Befragungskatalogs zur Auswahl der Interviewpartner/innen etwas aufmerksammer sein sollen?

Klar positionieren sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen hingegen beim Kampf gegen Rechts. „Für die Befragten ist der Rechtsextremismus der Antagonist.“[11]

Auch muss Neu feststellen, dass die überwiegende Anzahl der Teilnehmer_innen kein größeres Interesse an politischem Engagement zeigt. Diejenigen, die auf Demos gehen oder sich bei ATTAC oder Greenpeace engagieren, bleiben die Ausnahme. Die meisten Erfahrungen haben die Teilnehmer_innen aufgrund ihres Alters in der Schule gemacht. Insgesamt spielen politische Aktivitäten im Leben der meisten keine Rolle und ihnen fehle dazu auch die nötige Zeit. „Grundsätzlich distanzieren sich die meisten Probanden von politischer Gewalt, sehen aber auch Situationen, in denen politischer Gewalt durchaus Verständnis entgegengebracht wird. So werden z.B. Nelson Mandela oder Che Guevara zwar als Freiheitskämpfer gesehen, die Gewalt jedoch kritisch bewertet.“[12]

So kommt Neu bei den Schlussfolgerungen ihrer Studie zu der Ansicht, dass „ein Großteil der hier vorgestellten deskriptiven Befunde nicht im Sinne der Definition von Extremismus zu interpretieren sind. Weder der Sozialromantizismus noch die Einstellungen zur sozialen Gerechtigkeit, dem Wirtschafts- und Sozialsystem oder auch zu anderen Themen (Gentrifizierung) sind in einem extremistischen Kontext klar zuzuordnen.[13]

Angetreten ist die Studie aber um einen Beitrag zu leisten, welche Einstellungsmuster bei Linksextremismus-affinen Personen vorhanden sind und an welche inhaltlichen Voraussetzungen Präventionsarbeit anknüpfen kann. So muss sie weiter feststellen, dass „die Ergebnisse in weiten Teilen gängigen Befunden der Linksextremismusforschung […] widersprechen.“[14] Sowohl der Definitionsversuch Backes als auch diese Studie zeigen sehr deutlich, wie schwammig der Versuch ist einen Linksextremismusbegriff hegemonial zu prägen. Des Weiteren wird versucht eine Zielgruppe zu konstruieren, die scheinbar und nach den Ergebnissen dieser Studie nicht existiert. Die politischen Einstellungen der Jugendlichen sind teilweise so diffus und durch Patchworkideologien geprägt, dass eine Einordnung in eine politische Richtung schwerfällt. Frau Neu und die Konrad-Adenauer-Stiftung würden gut daran tun, diese Studie nicht zur Grundlage einer repräsentativen Befragung zu machen, da dadurch alles mögliche, nur kein herbeihalluzinierter Linksextremismus erforscht werden würde.



[1] Neu, Viola; Linksextremismus in Deutschland: Erscheinungsbild und Wirkung auf Jugendliche, KAS, 2012, S. 5.

[2] Ebenda, S. 10.

[3] Eddel, Katja; Die Zeitschrift MUT – Ein demokratisches Meinungsforum?: Analyse und Einordnung einer politisch gewandelten Zeitschrift. Dissertation TU Chemnitz, 2011.

[4] Neu, Viola; Linksextremismus in Deutschland: Erscheinungsbild und Wirkung auf Jugendliche, KAS, 2012, S. 15.

[5] Ebenda, S. 18.

[6] Die Fragen von Neu, zu den beiden ersten wäre Zustimmung von Menschen mit rechten Einstellungen nicht sonderlich verwunderlich, lauten:

  • Die Macht der Großkonzerne, Menschen auszubeuten, muss gebrochen werden.
  • Es muss eine grundsätzliche Alternative zum Kapitalismus geben.
  • Rechte Aufmärsche müssen mit allen Mitteln gestoppt werden.
  • Der Staat geht generell unverhältnismäßig hart gegen linke Demonstranten vor.

Antwortskala: Stimme voll und ganz zu, stimme eher zu, stimme eher nicht zu, stimme gar nicht zu)

 

[7] Ebenda, S. 21.

[8] Ebenda, S. 24

[9] Ebenda, S. 33.

[10] Ebenda, S. 33.

[11] Ebenda, S. 35.

[12] Ebenda, S. 43.

[13] Ebenda, S. 49.

[14] Ebenda, S. 48.


 

 

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