Netzwerk für Demokratie und Courage: Ausgezeichnetes Projekt unter Verdacht

Das „Netzwerk für Demokratie und Courage e.V.“ (NDC) engagiert sich seit Jahren durch politische Bildungsarbeit gegen menschenverachtendes Gedankengut. Gefördert werden Aufklärung und Zivilcourage. Für dieses Engagement hat es schon mehrere Demokratiepreise erhalten. Der Bundesregierung scheint dies nicht Beleg genug zu sein: Immer wieder muss das NDC die Demokratieklausel der schwarz-gelben Bundesregierung unterschreiben, um an Fördergelder zu kommen.

Das Netzwerk besteht seit 1999 und ist derzeit in 11 verschiedenen Bundesländern sowie in Frankreich und Belgien aktiv. Es setzt sich für eine demokratische Kultur und gegen menschenverachtende Einstellungen und Handlungen ein. Die hauptsächlich ehrenamtlich tätigen Mitarbeiter_innen führen politische Bildungsworkshops und Projekttage an Schulen und Berufsschulen durch. Nach eigenen Angaben konnten so schon über 113000 Schüler_innen erreicht werden[1]. 

Die unabhängigen Landesverbände des Netzwerks sind auf öffentliche Förderungen angewiesen. Die Förderung ist in einigen Fällen an die Unterschrift unter die Extremismusklausel gekoppelt. So zum Beispiel wenn im Rahmen der Lokalen Aktionspläne aus dem vom Bundesfamilienministerium verwalteten Topf „Kompetenz stärken- Toleranz fördern“ Gelder beantragt werden. Das bedeutet im Klartext: Ohne „Bekenntnis“ keine Kohle. Weshalb von einem Netzwerk, das bereits etliche Demokratie- und Förderpreise erhalten hat, eine Unterschrift abverlangt wird, die gewährleisten soll, dass man sich auf dem Boden der "Freiheitlich-demokratischen Grundordnung" bewegt, bleibt unklar[2]. Groteskerweise befindet sich unter den verliehenen Förderpreisen auch ein Preis des „Bündnis für Demokratie und Toleranz“, welches vom Bundesministerium des Inneren und dem Justizministerium initiiert wurde.  

Die Folgen der Unterschrift sind nicht zu unterschätzen: Da zum Beispiel in Sachsen (im Rahmen des dortigen Landesprogramms „Weltoffenes Sachsen“) jede_r ehrenamtlich Teamende eine solche Erklärung unterschreiben muss, fühlen sich viele Ehrenamtliche durch das von der Regierung gesäte Misstrauen, in ihrer Arbeit nicht gewürdigt. Vielmehr hat dieses Misstrauen dazu geführt, dass etwa zehn Prozent der Mitglieder sich bereits von ihrer Arbeit zurückgezogen haben[3]. Für den Vorsitzenden der "Courage-Werkstatt für demokratische Bildungsarbeit e.V." (Träger des sächsischen NDC), André Schnabel, ist es nicht nachzuvollziehen, warum das Unterschreiben der Klausel nun zur Bedingung geworden ist: "Alle Ehrenamtlichen werden von uns umfassend geschult und begleitet. Die Bildungskonzepte liegen dem Fördermittelgeber vor, werden seit mehreren Jahren gefördert und sie wurden und werden seit 10 Jahren intern und extern mit sehr guten Ergebnissen evaluiert."[4]

In Hessen stellen sich die Probleme ähnlich dar. Im Schwalm-Eder-Kreis agieren seit Jahren organisierte Neonazigruppen[5]. Das NDC führt im Landkreis bereits seit Jahren in Kooperation mit dem Jugendbildungswerk Projekttage durch. Vor kurzem wurde dort ein Pass für „Respekt und Toleranz“ eingeführten, in dessen Rahmen das NDC - auf Wunsch des dortigen Begleitausschusses des Lokalen Aktionsplans – einen wichtigen Beitrag leistet. Der Haken: Um die Förderung durch den Lokalen Aktionsplan zu bekommen, standen die Kooperationspartner des NDC Hessen, die DGB-Jugend und der BDKJ, vor der Wahl die Extremismusklausel zu unterschreiben und damit die Finanzierung des Projektes gewährleisten zu können oder durch Weigerung der Unterschrift darauf zu verzichten. Die Unterschrift führte bei vielen Beteiligten zu Bauchschmerzen.

Dass die präventiv wirkende Arbeit des NDC in der Region extrem wichtig ist, verdeutlicht exemplarisch ein Vorfall aus dem Jahre 2008. Neonazis aus dem Umfeld der „Freien Kräfte Schwalm-Eder“ überfielen ein Jugendsommercamp von Solid und schlugen ein 13-jähriges Mädchen, das schlafend in ihrem Zelt lag, mit einem Klappspaten ins Koma[6]. Dem Schwalm-Eder-Kreis wird im Lokalen Aktionsplan der Landesregierung höchste Dringlichkeit zugeordnet.

Der Unterschrift gingen lange Diskussionen voraus. Letztlich entschieden sich die Kooperationspartner für die Unterzeichnung der Erklärung, um die dringliche Arbeit vor Ort leisten zu können. Aber ein fader Beigeschmack bleibt. Sascha Schmidt, Jugendbildungsreferent der DGB-Jugend Südhessen, kommentiert das so: „In meinen Augen ist die Verknüpfung von politischem Engagement mit dem Zwang zur Unterschrift schlicht Erpressung. Angesichts der Einforderung einer Gesinnungsprüfung frage ich mich auch, wie viel Vertrauen, Wertschätzung und Interesse die Bundesregierung der politischen Arbeit gegen Rechts überhaupt entgegenbringt.“[7]

Unangenehm aufstoßen könnten den Trägern und Netzwerken politischer Bildungsarbeit weitere Punkte: Im Rahmen der Debatten und Einführungen der Extremismusklausel lässt sich nicht beobachten, dass sich unabhängige Träger politischer Bildungsarbeit eingeschüchtert zeigen und Teamer_innen sich bereits zurückziehen. Demgegenüber tritt der Verfassungsschutz (VS) immer häufiger mit seinen Bildungsangeboten an Schulen und öffentlichen Einrichtungen auf und läuft unabhängigen Bildungsträgern damit den Rang ab. Der Eindruck, dass die Bundesregierung hier versucht, mehr und mehr die Deutungshoheit auf dem Gebiet der politischen Bildung zu erlangen, lässt sich kaum vermeiden. In Niedersachsen wurde die „Landeszentrale für politische Bildung“ bereits abgeschafft - deren Aufgaben unterliegen nun zum Teil dem Verfassungsschutz. In Hessen hat 2008 das dem Landesamt für Verfassungsschutz angegliederte „Kompetenzzentrum Rechtsextremismus“ (Korex) die Arbeit aufgenommen. Das „Kompetenzzentrum“ hat sich u.a. zum Ziel gesetzt, „Aufklärungs- und Präventionsarbeit“ zu leisten und „regionale Analysen“ vorzunehmen.[8]

Der Extremismusbegriff der Verfassungsschutzämter, der sich in erster Linie über die ablehnende Haltung zum demokratischen Verfassungsstaat definiert, ist für die politische Bildungsarbeit weitgehend ungeeignet. "Rechtsextremismus" wird hier nicht als ein Phänomen verstanden, das auf der Einstellungsebene beginnt, sondern gerät lediglich in seiner organisierten Form in den Fokus der Verfassungsschutzämter. Die präventiv vorgehende Bildungsarbeit klärt jedoch nicht nur über die verschiedenen Erscheinungsformen menschenverachtender und undemokratischer Ideologien und Handlungen auf. Sie setzt vor allem auf der Einstellungsebene an. 

Der Auftrag des VS liegt im Wesentlichen im Sammeln und Auswerten von Informationen über Bestrebungen, die sich gegen die "Freheitlich-demokratische Grundordnung" richten. Zwar hat der VS auch einen "Aufklärungsauftrag" (dem er v.a. in der Veröffentlichung durch die Verfassungsschutzberichte sowie anderer Informationsblätter und -broschüren nachkommt), doch es stellt sich die grundsätzliche Frage, ob ein Inlandsgeheimdienst sich in der Bildungsarbeit engagieren sollte. Jenseits der Frage nach den Kompetenzen, dürfte es sich eher ungünstig auf die Qualität politischer Bildungsarbeit - die immer auch kritisches Denken beibringen soll - auswirken, wenn staatliche Behörden wie der VS diese vornimmt. Angesichts der skandalösen Rolle, die der VS rund um die Neonazi-Terrororganisation „NSU“ spielte, ist schwer vorstellbar, dass der VS auch nur ein annähernd geeigneter Akteur im Bereich der politischen Bildung gegen Rechts sein könnte. 

Wer gegen menschenverachtende Einstellungen politische Bildungsarbeit leisten möchte, sollte weit mehr im Petto haben als ein höchst unterkomplexes Hufeisenmodell und ein paar Schlapphüte.               

 

[1]    http://www.netzwerk-courage.de/web/310.html 

[2]    http://www.netzwerk-courage.de/web/306-442.html 

[3]    http://www.netz-gegen-nazis.de/artikel/auswirkungen-der-demokratie-erklaerung-ndc-sachsen-verliert-10-ehrenamtliche-2112 

[4]    http://www.netz-gegen-nazis.de/artikel/auswirkungen-der-demokratie-erklaerung-ndc-sachsen-verliert-10-ehrenamtliche-2112 

[5]    „Die extreme Rechte im Vogelbergkreis- Eine Onlinerecherche“,  DGB Region Mittelhessen, Juli 2011Gießen  

[6]    http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/news/meldungen/13-jaehrige-bei-ueberfall-auf-solid-zeltlager-verletzt/ 

[7]    http://jungle-world.com/artikel/2011/30/43667.html 

[8] http://www.verfassungsschutz.hessen.de/irj/LfV_Internet?uid=06837d19-4230-214f-bf1b-144e9169fccd


 

 

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