Generalverdacht oder Demokratie? Arbeit für demokratische Kultur braucht Vertrauen!

Stellungnahme:

Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus - für demokratische Kultur in Hessen e.V. (Dezember 2017)  

Neue Zuwendungsrichtlinien in Hessen
Generalverdacht oder Demokratie? Arbeit für demokratische
Kultur braucht Vertrauen!
Stellungnahme des Mobilen Beratungsteams gegen Rassismus und
Rechtsextremismus in Kassel zur geplanten Sicherheitsüberprüfung durch das LfV Hessen. Bis in das Jahr 2019 wurden auf Bundes- und Landesebene zur Stärkung der Demokratie zwei Programme beschlossen, welche die Arbeit für die sogenannte Extremismusprävention und -intervention finanzieren sollen. Das hessische Innenministerium ist der Zuwendungsgeber für Mittel im Landesprogramm „Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Extremismus“ und verwaltet die Mittel des Bundesprogramms „Demokratie leben!“.
Im Zuwendungsbescheid für das kommende Jahr 2018 kommt durch den hessischen Innenminister eine besondere Neuerung: In einem Passus soll eine verpflichtende Sicherheitsüberprüfung neuer Mitarbeiter_innen durch den hessischen Verfassungsschutz eingeführt werden. Sollten dabei der Behörde ein entsprechender Eintrag vorliegen, wird es keine Einstellung geben. Darüber hinaus soll der Verfassungsschutz ebenso bei „begründeten Einzelfällen“ eine erneute Prüfung durchführen können. Die Berater_innen sind bei Trägern oder über das Demokratiezentrum Hessen in der Beratung tätig und nicht direkt beim Innenministerium angestellt. Demnach gelten als Maßstab für eine etwaige Kündigung bzw. Einstellung die Kriterien der Träger, bzw. die
des Demokratiezentrums.
Das Bekenntnis zum Grundgesetz und die Verpflichtung zur FDGO wird bereits in den Förderbedingungen des Bundes gegenüber den Ländern geregelt und muss hier nicht neu geregelt werden. Der Bezug auf die Förderbedingungen des Bundes im jeweiligen Zuwendungsbescheid des Demokratiezentrums an die Träger deckt schon alles ab. Prinzipiell gibt es keine rechtliche Grundlage für das Innenministerium, derart in die Einstellungspraxis der Träger und Kommunen einzugreifen, die durch das Landesprogramm gefördert werden. Das Land Hessen schafft somit grade einen Präzedenzfall, der vermutlich bald auch Auswirkungen auf die Förderung der Zivilgesellschaft auf Bundesebene haben wird. Anstatt dass sich Träger ihre Mitarbeiter nach Eignung eigenständig aussuchen, soll nun mit einer Abfrage über einen Eintrag im NADIS System (Nachrichtendienstliches Informationssystem) ein neues Einstellungskriterium eingeführt werden, das zu Ausschlüssen von Mitarbeitenden führen kann.
Der Verfassungsschutz ist jedoch eine Instanz, die unilateral wertet und deren
Datenerhebung intransparent ist. Ein Eintrag in das Datensystem dieses
Inlandsgeheimdienstes wird von keiner weiteren unabhängigen Stelle überprüft. So geriet beispielsweise die Münchener Antifaschistische Informationsstelle Aida in den Jahren 2009 bis 2011 wegen einer Linkliste auf ihrer Webseite in das System des Verfassungsschutzes und wurde als extremistisch eingestuft. Erst nach einem jahrelangen Rechtsstreit, in dem die Antifaschistische Initiative Recht bekam, mussten diese Einträge
vom VS wieder gelöscht werden. Im Zuge der Absicherung gegen Terrorismus, insbesondere nach dem 11. September 2001, werden die Regelungen des im Jahre 1950 verabschiedeten Bundesverfassungsschutzgesetz immer weiter ausgehöhlt und gipfeln nun im Generalverdacht gegen Projektträger, darunter Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Jugendverbände und zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich zum Teil seit Jahrzehnten für Demokratie und Menschenrechte einsetzen.
Für freie Träger ist die Autonomie eine Grundvoraussetzung ihrer Arbeit. Diese ist in mehreren Dimensionen von Bedeutung und prägt die Struktur, das Selbstverständnis und das Handeln freier Träger. Auch wenn sie unterschiedliche Rechtsformen und Anbindungen an Dachverbände und andere übergeordnete Strukturen haben, ist ihr Handeln von einer starken Autonomie gegenüber staatlichen Institutionen geprägt. Dies muss auch so bleiben, wenn die Träger ihren eigenen Satzungen, dem Vereinsrecht, dem Arbeitsrecht, dem Steuerrecht und ihren eigenen strukturellen Anbindungen (Dachverbände etc.) entsprechend handeln sollen. So ist es beispielsweise arbeitsrechtlich gesehen ungerechtfertigt, Mitarbeitenden, die in von Land oder Bund geförderten Projekten arbeiten, Kriterien zuzumuten, die für andere Kolleg_innen nicht
gelten, die über andere Mittel finanziert werden. Für die Träger der öffentlichen Einrichtungen trifft dies prinzipiell auch zu, allerdings sind Struktur und Aufgaben in bereits eigenständiger kommunaler Verwaltung in den jeweiligen Satzungen und Verordnungen festgelegt.
Das Beratungsnetzwerk funktioniert und versteht sich als Netzwerk, das geprägt ist von Respekt, Kooperation, Kollegialität und natürlich das uneingeschränkte Eintreten für dieMenschenrechte. Leitlinien und Ziele werden kooperativ erarbeitet und durch unabhängig geprüfte Qualitätsstandards umgesetzt. Hierbei können einzelne Akteure und gewachsene
Strukturen (wie das Mobile Beratungsteam Hessen) auf bereits langjährige Erfahrung und Expertise zurückblicken. Als unverhältnismäßig und ohne Begründung von oben verordnet erscheint der durch den neuen Zuwendungsbescheid formulierte Extremismusverdacht gegen eben jene, teils langjährige Berater_innen des Netzwerkes.
Als 2003 gegründeter gemeinnütziger Verein und ab dem Jahr 2008 im Verbund des Beratungsnetzwerkes Hessen, leisten wir demokratiefördernde Arbeit in Nordhessen. Nicht umsonst führen wir im Titel den Zusatz „für demokratische Kultur in Hessen“. Die Kontrolle und regelmäßige Überprüfung durch das LfV Hessen steht unserem Verständnis demokratischer Kultur entgegen. Weiter gefasst werten wir dieses Vorhaben als Beleg des
Generalverdachts gegenüber denjenigen, die sich im Rahmen ihrer geförderten Arbeit für eine demokratische Kultur einsetzen.
Die Auseinandersetzung mit den neuen Zuwendungsbescheiden auf politischer,
verwaltungs- und arbeitsrechtlicher Sicht ist dabei weder Aufgabe, noch selbst gewähltes Betätigungsfeld. In Zeiten einer Zunahme von rassistischen Gewalttaten, massiver Wahlerfolge rechter Parteien in allen Parlamenten sowie einer spürbaren Veränderung des gesellschaftlichen Klimas lässt die Unterstützung einer demokratischen Zivilgesellschaft, die sich klar für demokratische Werte positioniert, umso wichtiger erscheinen. Auch hierfür
sind gemeinsame Netzwerke besonders wichtig.

Eine weitere Frage stellt sich in Bezug auf das Beratungsnetzwerk, welches bereits seit zehn Jahren besteht. Sollte die angekündigte Überprüfung durchgeführt werden: Wie kann man unter dem Dach eines Ministeriums vertrauensvoll zusammen arbeiten, wenn einem kein Vertrauen entgegen gebracht wird und zusätzlich mit dem Landesamt für Verfassungsschutz eine Behörde vertreten ist, welche andere Netzwerkmitglieder überwachen bzw. Neueinstellungen verhindern kann. Die zivilgesellschaftlichen Träger können dies umgekehrt ja nicht tun. Hierbei stellt sich die Frage, welche Lehren aus dem
NSU gezogen werden, angesichts der nach wie vor ungeklärten Rolle des ehemaligen Mitarbeiters des LfV, Andreas Temme, im NSU-Mord in Kassel. Immerhin wurde der Abschlussbericht zur Aktenprüfung des hessischen Verfassungsschutzes aus dem Jahr 2014 zum Teil für 120 Jahre als geheim eingestuft. Dieser Bericht enthält möglicherweise wertvolle Hinweise, die zur Aufklärung der Morde durch den NSU beitragen könnten.
Das MBT Hessen lehnt die geplante Änderung der Zuwendungsrichtlinien ab. In Zeiten einer zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung sollte die Arbeit für demokratische Kultur in einem langjährig vertrauensvoll zusammenarbeitenden Netzwerk nicht durch Misstrauen, sondern von Wertschätzung und Kooperation geprägt sein.

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Auch der Bundesverband mobile Beratung hatte sich gegen das Gesetzesvorhaben der hessischen Landeregierung positioniert.

Land Hessen kündigt vertrauensvolle Zusammenarbeit auf (29.11.17)

http://www.bundesverband-mobile-beratung.de/2017/11/29/land-hessen-kuendigt-vertrauensvolle-zusammenarbeit-auf/


 

 

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